Vor zehn Jahren, als Europa die Krise in der Eurozone durchmachte, stand Deutschland an der Spitze der Austeritätsbewegung. Jetzt nimmt der Rest Europas Deutschlands hohe Ausgaben für Energiesubventionen übel, die, wie sie befürchten, die politisch explosive Kluft zwischen Arm und Reich auf dem Kontinent noch verschärfen könnten. Es trägt kaum zu den wachsenden Spannungen bei, dass es Berlins fehlgeleitete Abhängigkeit von russischem Gas war, die die Energiekrise des Blocks mit ausgelöst hat.
In der EU wächst die Uneinigkeit – vor allem unter Schwergewichten wie Italien und Frankreich – über Deutschlands massives 200-Milliarden-Euro-Paket, das letzte Woche angekündigt wurde, um Verbraucher und Unternehmen vor den vollen Auswirkungen der Energiekrise zu bewahren. Diese Beschwerden dürften am Freitag auf einem EU-Gipfel in Prag wieder aufflammen, wenn die Staats- und Regierungschefs über die steigenden Energiepreise und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen diskutieren werden.
Die tiefen Taschen Deutschlands sind ein langjähriger Streitpunkt, der auch während der Coronavirus-Pandemie Probleme verursachte, als die Länder Milliarden von Dollar in die Rettung ihrer Volkswirtschaften steckten. Die Kritik lautet, dass Deutschlands enorme Finanzkraft es ihm ermöglicht, seine Wirtschaft zu retten, während ärmere Länder pleite gehen, und dass dies zu einer großen Spaltung des Binnenmarktes führt, da deutsche Unternehmen einen staatlich geförderten Vorteil gegenüber Konkurrenten in anderen Ländern erhalten.
Die Länder sagen, Deutschland habe eine Verantwortung, Solidarität zu zeigen und nicht nur auf sich selbst zu achten – nicht zuletzt wegen der Rolle Berlins, Gazprom zu einer Vormachtstellung in Europa zu verhelfen, aber auch, weil Deutschlands Streben nach neuen Gaslieferungen die Preise für alle in die Höhe treibt. „Die Deutschen machen sich mehr Sorgen um die Gasversorgung als um den Preis, aber für die anderen 26 Länder ist das nicht der Fall“, sagte der italienische Energieminister Roberto Cingolani am Sonntag gegenüber Rai TV.
Am Montag forderte die Europäische Kommission die Länder außerdem auf, ihre Rettungsmaßnahmen zu koordinieren und eine Aushöhlung des Binnenmarktes zu vermeiden. „Maßnahmen, die auf nationaler Ebene ergriffen werden, haben erhebliche Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten, daher ist ein koordinierter Ansatz auf europäischer Ebene wichtiger denn je“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Montag nach einem Treffen der Finanzminister.
Zusätzliches Öl ins Feuer gießt die Tatsache, dass Deutschland die Forderung nach einer europaweiten Obergrenze für Gaslieferungen zur Bewältigung der Energiekrise blockiert und sie auch von anderen Ländern nicht unterstützt wird.
Einst ein Symbol für fiskalische Sparsamkeit, das während der Krise in der Eurozone darauf bestand, dass Sparmaßnahmen Teil der Bedingungen für Rettungsaktionen für Länder wie Griechenland, Portugal und Irland waren, verwaltet Berlin nun ein grandioses Ausgabenpaket. Selbst der deutsche Bundesrechnungshof hat die Finanzierung des Plans kritisiert.
Aber wenn es um die Großzügigkeit im Energiebereich geht, verteidigte Lindner am Montag in Luxemburg diesen Schritt. „Diese Maßnahmen stehen in einem angemessenen Verhältnis zur deutschen Wirtschaft und bis zum Jahr 2024, und sie stehen auch im Einklang mit dem, was andere europäische Länder tun“, sagte er.
Technisch gesehen werden die Ausgaben einem Fonds zur wirtschaftlichen Stabilisierung aus der COVID-Ära zugewiesen, um sie mit den deutschen Regeln für die Staatsverschuldung in Einklang zu bringen.
Die Entscheidung Deutschlands, ein ehrgeiziges Unterstützungspaket zu schnüren, erinnert an den Beginn der COVID-Pandemie vor mehr als zwei Jahren, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Pläne zur Unterstützung ihrer eigenen Wirtschaft ausweiten wollte. Dies führte zu Vorwürfen, Berlin verzerre den Wettbewerb in Europa, da sich nicht alle EU-Länder solche Maßnahmen leisten könnten. Die EU reagierte schließlich mit der Einrichtung des historischen 750-Milliarden-Euro-Coronavirus-Wiederauffüllungsfonds, aber die deutsche Regierung hat wiederholt betont, dass dies eine einmalige“ Entscheidung war, die sich nicht wiederholen wird.
So twitterte der französische Kommissar Thierry Breton: „Während Deutschland es sich leisten kann, 200 Milliarden Euro auf den Finanzmärkten zu leihen, können einige andere Mitgliedstaaten dies nicht. Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie wir den Mitgliedstaaten, die nicht über diesen steuerlichen Spielraum verfügen, die Möglichkeit bieten können, ihre Industrien und Unternehmen zu unterstützen.“
Die bevorstehende Reform des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts überschattet die zunehmend hitzig geführte Debatte über die jüngst aufgedeckte Verschwendungssucht Deutschlands. Das Abkommen, das das Rückgrat des Steueraufsichtssystems der EU bildet, wurde während der Pandemie ausgesetzt. Doch nun ist die Kommission bereit, eine Erneuerung des Systems anzukündigen, die ab 2024 in Kraft treten wird.
Während zwei Säulen der EU-Fiskalregeln beibehalten werden – die Länder müssen ein öffentliches Defizit von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Verschuldung von 60 Prozent des BIP einhalten – wird die Vereinbarung ein neues Element der Flexibilität enthalten, das vor zehn Jahren noch ein Gräuel war. Insbesondere schlägt die Kommission vor, die Verpflichtung für Länder mit einem Schuldenstand von über 60 Prozent des BIP abzuschaffen, ihre Schulden jährlich um ein Zwanzigstel Prozent zu reduzieren. Die Länder würden auch mehr Zeit erhalten, um ihren Schuldenstand zu reduzieren.